Nachbarschutz bei Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplanes über das Maß der baulichen Nutzung

Soll bei einem Bauvorhaben von den Festsetzungen eines bestehenden Bebauungsplanes abgewichen werden, benötigt der Bauherr eine Befreiung von diesen Festsetzungen nach § 31 Abs. 2 BauGB.

Eine solche Befreiung kann erfolgen, wenn das Vorhaben die Grundzüge der Planung nicht berührt, wenn einer der in der Vorschrift genannten Tatbestände erfüllt ist und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Dabei muss der Grundstückseigentümer natürlich zunächst einmal mit der Baubehörde eine Einigung über die Befreiung erzielen.  Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, inwieweit sich benachbarte Grundstückseigentümer  gegen das Vorhaben wenden  können und ob sie sich dabei darauf berufen können, dass das Vorhaben gegen die Festsetzungen des Bebauungsplanes verstößt.

Will der Nachbar gegen die erteilte Befreiung vorgehen, kommt es wesentlich darauf an, ob eine Befreiung von solchen Festsetzungen erfolgt, die darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen.

Gegen eine fehlerhafte Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ist ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben. Das hat zur Folge, dass bei nachbarschützenden Festsetzungen jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung einer Baugenehmigung oder eines Bauvorbescheids führen muss. Dagegen löst eine eine fehlerhafte Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung einen Abwehranspruch des Nachbarn nur aus, wenn die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die Befreiung nicht die gebotene Rücksicht auf seine nachbarlichen Interessen genommen hat

Für das Maß der baulichen Nutzung(z.B. Höhe und Größe) hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 09. August 2018 entschieden, dass hierzu keine generelle Einordnung erfolgen kann. Vielmehr hängt es vom Willen der Gemeinde als Plangeber ab, ob die Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen.

Entscheidend für die Einordnung als nachbarschützend ist nach Ansicht der Richter, ob der Plangeber die Planbetroffenen mit den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis einbinden wollte. Daher können Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung auch dann drittschützende Wirkung entfalten, wenn der Bebauungsplan aus einer Zeit stammt, in der man an einen nachbarlichen Drittschutz noch gar nicht gedacht hat.

Für die Paxis heißt das, dass bei Befreiungen von den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung keine generelle Aussage über den Nachbarschutz und damit die Erfolgsaussichten eines Nachbarwiderspruchs getroffen werden kann. Maßgebend ist der Wille der Gemeinde im Einzelfall. Es ist daher erforderlichenfalls durch Auslegung des Plans zu ermitteln, ob bzw. welche Festsetzungen Nachbarschutz gewähren sollen. Dazu kann bspw. die Begründung herangezogen werden.